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Keine Stehaufmännchen mehr

Aber ganz viel Reden darüber

Stefan Brackmann und Maren Zaidan, 28. September 2024 03:00 Uhr

Ganz klein und schwach

Manchmal scheint es inzwischen, als wären alle nur noch kaputt. Die einen tragen ihre psychischen Probleme gewollt oder ungewollt ganz offen vor sich her, bei den anderen braucht man etwas Vertrauen, um davon zu hören. Die Krankmeldungen steigen auf immer neue Rekordhöhen, auch wegen der Psyche. Von Generation zu Generation wird es schwerer, Beziehungen jeder Art einzugehen. Die erfassten Zahlen der psychischen Erkrankungen nehmen auch immer neue Rekorde ein und das besonders bei den Kindern und Jugendlichen.

In den letzten Jahren wurde das Thema Resilienz zum Hype. Man muss es gar niemanden mehr erklären. Man findet das Wort Resilienz in jedem Magazin, Menschen verdienen viel Geld daran, Selbsthilfebücher, Erziehungsratgeber und Coachings zum Thema zu verkaufen oder sogar die Ausbildung zum Resilienzcoach zu verkaufen. Kinder, Erwachsene und ganze Teams oder Bevölkerungen sollen mehr Widerstandskraft gegenüber Hürden im Leben entwickeln.

Dabei wird, wie bei fast allen gehypten Fachbegriffen, ein teils falsches Verständnis aufgebaut. Als Bild im Kopf der Menschen wird Resilienz meist mit Stehaufmännchen oder kleinen Pflänzchen, die zu großen starken Bäumen werden, umschrieben. In den letzten Jahren wird dabei jedoch oft vergessen, dass jeder trotzdem seine Grenzen hat und schlimme Ereignisse trotz Resilienz ihre Wirkung haben. Es kommt nur darauf an, wie sehr das negative Ereignis Einfluss nimmt. Zudem können unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Dingen umgehen. Was den einen vollkommen auf der Bahn wirft, macht dem anderen nicht viel aus. Bei einem anderen Ereignis kann das ganz anders sein.

Noch wirrer wird es, wenn man in die Wissenschaft schaut. Diese liefert im Moment widersprüchliche Ergebnisse. Während die einen zeigen, dass eine sozusagen gute Kindheit zu einer großen Resilienz führt, zeigen die anderen, dass sozusagen die früh gebrochenen Pflänzchen als Erwachsene einiges aushalten. Andere wiederum stellen Eigenschaften heraus, die in der Kindheit belastete und nicht belastete Erwachsene gemeinsam haben und welche Vor- und Nachteile diese Eigenschaften im Leben mit sich bringen. Ein Erklärungsansatz für die sehr abweichenden Ergebnisse sind die sehr unterschiedlichen Gruppen an Studienteilnehmern.

Warum steigen die Zahlen der psychisch Erkrankten so erheblich an? Einerseits ist da die Offenheit für diese Art der Probleme, welche in den letzten Jahrzehnten erheblich gestiegen ist. Die Krisen der letzten Jahre haben Spuren im Leben der Menschen hinterlassen. Es waren keine Einschränkungen mehr, die hier und da einzelne betroffen haben, sondern die Phänomene waren breit verteilt. In den letzten Jahrzehnten hat sich der Lebensstil enorm verändert und wir müssen uns fragen, welche negativen Konsequenzen dies hat. Kinder werden immer mehr geschützt und vor Herausforderungen beschützt, sodass viele Psychologen und Pädagogen fragen, ob somit auch die heutigen jungen Erwachsenen weniger mit Herausforderungen und Widrigkeiten umgehen können. Das Thema Narzissmus in der Gesellschaft kommt hinzu - heute dreht sich vieles darum Aufmerksamkeit zu bekommen. Inzwischen ist es leider immer schick, Probleme zu haben und sich als Opfer darzustellen.

Egal wie man die Situation interpretiert, sie ist sowohl negativ für die Betroffenen als auch für die Gesamtgesellschaft. Also wie können wir etwas zum Positiven ändern? Resilienz entsteht zum Großteil in unserer Kindheit. Die Erziehungsvorstellungen haben sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr zu einem pauschalen Schutz vor Fehlern und negativen Lebenserfahrungen gewandelt. Ein erster Ansatzpunkt wäre also, in der Kindererziehung wieder eigene Fehler der Kinder zuzulassen. Ihnen nicht durch gutes Zureden, sondern durch eigene Erfahrungen zu lernen, dass sie auf sich selbst vertrauen können und zu akzeptieren, dass kleine bis mittlere Unfälle zur Kindheit dazu gehören. Egal von welchem Hype wir reden, es ist nicht sinnvoll, auf jeden Hype aufzuspringen und umso weniger dies tun, umso weniger Hypes gibt es. Bei jedem Thema sollten wir uns fragen, ob dieses Thema wirklich für uns selbst relevant ist oder ob uns dies nur eingeredet wird. Wir sollten die Offenheit gegenüber Problemen behalten, aber wissen, dass diese Probleme nicht beneidenswert sind. Gleichzeitig sollten wir nicht jedes Problem so breit treten und unsere Mitmenschen und uns selbst so lange analysieren, bis jeder sich selbst für abnormal oder krank hält. Wir sollten ein rücksichtsvolles Leben im klassischen Sinn führen. Das bedeutet, aufeinander Acht zu geben, ohne sich als Opfer oder perfektes Ich zu promoten. Damit sind keine falschen Spiele oder vorgespielten Beziehungen gemeint, wir haben nunmal unterschiedlich enge Bindungen zueinander. Wenn es dann doch mal heikel wird, sollten wir uns oder unserem Umfeld Hilfe suchen, bevor das kleine Problem zur psychischen Störung wird.

Freut euch auf nächste Woche, denn dann gibt es den zweiten Teil zum Thema mit anderen Schwerpunkten und Sichtweisen!


Stefan Brackmann und Maren Zaidan
die Bundesvorsitzenden
DIE FÖDERALEN