Als erstes Bundesland baut Mecklenburg-Vorpommern eine digitale Landesschule auf. Auch digitale Berufsschulangebote werden geschaffen. In dem Projekt werden zunächst ausgewählte Fächer und Klassenstufen abgedeckt, aber das Ziel bis 2027 ist es, den kompletten Schulstoff von der ersten bis zur Abschlussklasse digital anbieten zu können.
Beworben wird das Projekt mit der Aussage, es wird eine neue Schule ohne Mauern gebaut. Laut offiziellen Aussagen klingt dieses Motto jedoch aufregender als es ist. Die digitale Schule soll dem Lehrermangel entgegenwirken und als Ersatz für Unterrichtsausfall oder kurze Phasen des Fernschulunterrichts genutzt werden können, wenn die jeweilige Schulleitung dies anordnet.
Extrem neu ist die Idee dahinter also nicht und Mecklenburg-Vorpommern ist nicht ganz das erste Bundesland. Beispielsweise werden in NRW bereits seit 2018 digitale Schulangebote erarbeitet. Teilweise wird sogar diskutiert, die Qualitätsunterschiede zwischen Lehrern durch wenige gute Lehrer, welche aus der Ferne digital unterrichten, zu ersetzen.
Hier stellt sich die erste Frage: Was macht einen guten Lehrer aus? Denkt man hier vielleicht nicht auch zu sehr aus der Sicht von Erwachsenen und Studenten? Gehört zum idealen Lehrer nicht auch, dass er erkennt, mit welchem Kind wie umzugehen ist oder weiß wie er mit den Kindern, die kurz vor der Klassenarbeit über Bauchschmerzen klagen, umgehen kann? Wer bemerkt häuslichen Missbrauch oder einfach eine bedenklich dysfunktionale Familie? Kann das alles digital geleistet werden? Entsteht ein nicht auch manchmal ein Vertrauensverhältnis zwischen Lehrern in Kindern nicht auch wie zwischen allen Menschen über Umwege? So dass nicht alles durch Klassenlehrer, Vertrauenslehrer und Schulpsychologen ersetzt werden kann? Vielleicht ist der sonst nicht besonders schülerfreundliche Mathelehrer für den einen Schüler genau der richtige Ansprechpartner, weil beiden der Umgang mit Zahlen leichter fällt als mit den coolsten Leuten in der Schule.
Jetzt kann man leicht das Gegenargument bringen, es soll ja eben nur ein Ersatzangebot sein. Ich schätze, dass Maßnahmen entwickelt werden, um die Schüler wieder besser und mit weniger Ausfall zu unterrichten. Aber all die Dinge, welche in der Schule nebenbei entstehen und stattfinden, brauchen Zeit und Vertrauen, welches auch Zeit benötigt. Wie bereits geschrieben, ich vertrete die Meinung, dass für Kinder und Jugendliche mehr Gehör für den Kummer, welcher gerade die Leistung senkt oder die riesige Freude über das neue Haustier oder den Besuch der Oma da sein muss, als das bei Studenten oder Erwachsenen nötig ist. Gleichzeitig zu der Entwicklung Schule digital zu machen, kommen in den letzten Jahren Berechnungen von Betreuungsverhältnissen an die Öffentlichkeit, die für das genaue Gegenteil sprechen und fragen lassen, woher all die Erzieher und Lehrer kommen sollen? An manchen Stellen ist zu fragen, ob zu viel individuelle Förderung und Forderung nicht auch bereits wieder ausgrenzt, weil niemand mehr lernt, eigene Wege zu finden, dass alle ohne Extrabehandlung miteinander klar kommen.
Langsam ist man dem Thema Corona-Krise müde, jedoch drängen sich die
Erfahrungen auch hier auf. Damals wurden die möglichen Folgen der
Schulschließungen und des Fernunterrichts verdrängt, abgestritten oder
relativiert. Heute thematisiert man immer wieder die anhaltenden Auswirkungen
auf die entsprechenden Jahrgänge.
Die vollständige Schule vor Ort bietet den Schülern untereinander ein
Sozialleben oder zumindest den Grundstock davon. In der Schule werden Schüler
mit anderen Werten und Meinungen konfrontiert und können diese mit denen im
Elternhaus abgleichen. Auch Lehrer müssen in manchen Fällen Schüler vielleicht
etwas länger und besser kennen, um zu merken, wenn etwas nicht stimmt. Die
Lockdowns haben mehr Sozialphobien, Depressionen und andere psychische
Störungen als zuvor hervorgebracht. Digitale Schule motiviert leider auch die
Betroffenen, sich nicht ihren Ängsten zu stellen und für Fernunterricht ohne
andere Menschen zu kämpfen. Die Klassengemeinschaft mit den Lehrern, die man
täglich sieht, bietet auch Raum, um mal die dummen Fragen zu stellen, aber sich
trotzdem noch zu überlegen, wie man dabei nicht aneckt. Die
Leistungsbeurteilungen während Corona waren lange Zeit umstritten, da es
Mitleidsbewertungen und Bewertungen ohne Berücksichtigung der Umstände gab -
dies könnte sich mit weiteren Ersatzunterrichtsformen fortsetzen. Nur wie
sollen Ausbildungsstätten und Arbeitgeber damit umgehen, wenn eventuell die
Mitleids-Eins gegen die Null-Verständnis-bekommen-Vier antritt? Wo trainieren
Schüler Sozialkompetenz, wenn nicht nur ihre Freizeit, sondern auch die
Schulzeit immer mehr digital stattfindet? Was soll aus unserer Gesellschaft
werden? War die Schule nicht immer ein Teil der Erziehung und Prägung von
Kindern? Wie gut funktioniert die Selbsteinschätzung der Kinder und
Jugendlichen, wenn sie immer weniger damit konfrontiert werden, welche Bereiche
ihnen leichter oder schwerer als ihren Gleichaltrigen fallen?
Ich komme zum Schluss, dass die digitale Landesschule gut ist, um Unterrichtsausfälle auszugleichen, solange der Einsatz die große Ausnahme bleibt. Wäre dies der Fall, wäre es aber fraglich, ob sich ein solches Projekt rechnet. Die Nachteile und Gefahren müssen immer beachtet werden und die bereits negative Erfahrung darf nicht verdrängt werden! Am Ende stellt sich eine große Frage: Machen wir es uns nicht zu leicht, mit der Idee, Schule zu digitalisieren, statt gute und geeignete Lehrer zu finden und auszubilden?
Maren Zaidan
die Bundesvorsitzenden
DIE FÖDERALEN
Quellen:
https://www.welt.de/politik/deutschland/plus252128996/Jetzt-plant-ein-Bundesland-die-erste-rein-digitale-Schule.html
https://www.bildung-mv.de/schule-digital/digitale-landesschule/
https://www.digitalesmv.de/leuchtturmprojekt/digitale-landesschule
https://institut-fuer-digitales-lernen.de/digitale-schulbucher/mbook-gemeinsames-lernen-nrw-2018/