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Verhaltensbeobachtung

Die Psychologie des Extremismus

Maren Zaidan, 20. Februar 2023 16:00 Uhr

Warum war ich dabei?

Mein Name ist Maren Zaidan und ich bin Psychologin. Ich war bereits in meiner Schulzeit an Politik interessiert. Zu einem Extrem habe ich nie gezählt und wurde nie zu einem politischen Extrem gerechnet.

Im Frühjahr 2020 besorgten mich aufgrund meines Hintergrundes vor allem die psychologischen Auswirkungen des Lockdowns, des Social Distancings und der Maskenpflicht. Ich wurde Mitglied von Telegram-Gruppen mit Corona-Maßnahmengegnern, meldete eine Demonstration an, besuchte Demonstrationen, engagierte mich als Ansprechpartnerin für NRW bei Widerstand2020 und initiierte die Partei DIE FÖDERALEN. Meine eigene politische Meinung war immer gemäßigt. Ich distanzierte mich von allem, was nicht meinen alten politischen Einstellungen, die mittig-links liegen, entsprach. Die Corona-Bewegung geriet schnell in Verruf und konnte ihre Meinungen lange nur hinter vorgehaltener Hand äußern.

Auch wenn ich vorher nie Aktivistin war und auch vorher nicht selbst politisch aktiv war, wussten ich und auch alle anderen Teilnehmer in dieser Bewegung von Protestbewegungen vorher, wie alles meist in eine Schublade gedrängt wird. Aufgrund der Inaktivität vorher konnte ich nicht einschätzen, wie viel an dem Schubladendenken dran ist. Ich wollte aktiv sein, hatte jedoch auch Furcht vor den beschriebenen Menschen und Aktivitäten in solchen Bewegungen. Ich beobachtete also aufmerksam und ging zu allem, was nicht in meine Ansichten passte und nicht vertretbar war, auf Abstand.

Ich wollte also herausfinden, wer die vielen Menschen, die ich neu kennengelernt hatte, sind.
Warum sind sie hier aktiv?
Was fĂĽr Motive haben sie?
Welche Ziele haben sie?
Was sind ihre HintergrĂĽnde?
Was sind ihre politischen Einstellungen?

In den ersten Monaten traf man auf fast alles. Es war jedes soziale Niveau und jedes Bildungsniveau dabei. Auch die politische Bildung und Aktivität beinhalten alle Niveaus. Es gab politische Extreme, aber von denen konnte man sich fernhalten. Für die folgende Analyse ist jedoch entscheidend, dass es sehr viele Menschen gab, die sich bis heute dazu bekennen, sich vorher nie mit Politik beschäftigt zu haben und teilweise bis heute nicht erkennen, dass sie politisch aktiv sind.

Die Bewegung hat sich nie aufgrund der sozialen Unterschiede gegenseitig diskriminiert. Man merkte jedoch sehr schnell, dass viele Konflikte aufgekommen sind.

Mit der Zeit wurden die politischen Extreme immer präsenter. Leider wurde von den führenden Personen dagegen nichts getan. Unter dem Anschein, offen und gebildet zu sein, nahmen sich die Autoritäten leider sogar oft speziell diesen Themen an. Unter dem Motto, mit jedem zu sprechen und den notwendigen Diskurs herzustellen, wurden selbst die abenteuerlichsten Themen aufgegriffen. Gerade die politisch wenig gebildeten glaubten an dieser Stelle gutherzig. Bald liefen sehr viele gerade den Extremen nach. Sie glaubten und glauben bis heute daran, dass mit gemäßigten Meinungen, Mitteln und allem, was relativ mittig ausgerichtet ist, nichts zu gewinnen ist.

Wie konnte es passieren, dass so viele wirklich gutherzige Menschen, die anfänglich gemäßigt oder neutral schienen, plötzlich zu politischen Extremen gehören?

Zunächst ist zu sagen, es gibt immer noch den tatsächlichen Unterschied zwischen dem Schubladendenken und denen, die wirklich dazu gehören. Es gibt neben mir noch andere, die nicht zu einem politischen Extrem gehören, nie dazu gehört haben oder nach kurzweiligen Nachdenken in die Mitte zurückgekehrt sind.

Wichtig zu erwähnen ist, dass das Wissen über Unterwanderungsmethoden und darüber wie man Menschen wirklich beeinflusst bei den meisten Aktivisten gegen Null geht. Somit wird oft genau hinter den Falschen Manipulation erwartet oder Unterwanderung als unrealistisch abgetan. Jede bisher als demokratisch legitimierte Meinung war auf einmal suspekt und hinter jedem Strauch versteckte sich ein Rattenfänger oder Systemling.

Eine politische Bewegung hat für ihre Mitglieder keine Eignungskriterien. Neben sehr gebildeten Aktivisten, findet man viele, die bildungsfern sind. Fängt man mit politischer Bildung an, trifft man teilweise auf Resignation, die aus vorherigen gescheiterten Lernerfahrungen stammen und teilweise auf ein Scheitern des Lernvorganges, trotz der Bemühung, etwas zu verstehen.
Es ist bekannt, dass solche Bewegungen von Interessengruppen unterlaufen werden, die neue Mitglieder suchen. Diese Gruppierungen sind erfahren darin, wie sie speziell die Unerfahrenen überzeugen können. Da viele nicht wissen, wie man richtig recherchiert und abwägt, wird dann oft dem anscheinlichen Status, überzeugenden Auftreten oder ähnlichem geglaubt. An dieser Stelle schließt sich der nächste Punkt an. Viele Vorbilder, Führungspersonen und Influencer der Bewegung sind entweder selbst Vertreter von Interessengruppen oder selbst etwas naiv (gewesen). Die einen suchten nach einer Führung, der sie vertrauen können und die anderen führten in dunkle Gassen.

Die Corona-Krise führte dazu, dass speziell maßnahmenkritische Menschen ausgegrenzt wurden. Die ewig fortgeführten Einschränkungen, die Verluste und Konflikte, die Misserfolge bei Demonstrationen und Aktionen ließen den Glauben an ihre Selbstwirksamkeit sinken. Sie wollten an die Führungskräfte glauben und hofften in ihnen auf den Retter. Von alten Vorbildern und Vertrauten fühlte man sich verraten und weggestoßen.

Für viele in der Bewegung war das Leid, das von den Maßnahmen ausgelöst wurde, leider nicht das Einzige. Die Bewegung enthält alle Persönlichkeitsstörungen und sonstigen psychischen Leiden. Alle treffen ungehindert aufeinander. Die Lebensgeschichten sind auch äußerst verschieden. Zum Zuhören gibt es genug Material. Viele Aktivisten haben bereits vorher ernsthafte Probleme in ihrem Leben gehabt oder verkraften müssen. Die Grenzen und der Umgang mit Problemen sind unterschiedlich. Doch auch die daraus entstehenden Typen und Verhaltensweisen beeinflussen sich gegenseitig.

So hat der eine aus seinem Leben gelernt, wie man überzeugt und alles überspielt. Der andere sucht nach dem, was er in sich selbst (nicht mehr) sieht, in anderen und rennt dem Ersten nach. Die politischen Extreme sind bekannt dafür, daraus ihre Kräfte zu ziehen.

Gleichzeitig trifft man in verschiedenen Lagern immer wieder auf den Wunsch nach einer großen Katastrophe, nach der alles neu aufgebaut werden muss. Betrachtet man die Akteure, wird oft klar, dass diese auf eine Art Löschung ihrer Probleme und einen Neustart hoffen. Leider vergessen sie zum Teil dabei, wie sie in ihre Situation geraten sind, ihr Alter, ihren Gesundheitszustand, ihre vorhandenen Verhältnisse und damit die Chancen, dass sie selbst aus einer solchen Katastrophe als Sieger herausgehen würden.

Und was machen die Gegner der Bewegung?

Die politischen Gegner schüren Hass. Man blendet alles gemäßigte der Bewegung aus. Die Gegenseite urteilt über verdrehende Zusammenschnitte und aus dem Zusammenhang gerissene Zitate, macht jedoch genau dasselbe. Man schaut zum Teil nicht richtig hin, wer was sagt und macht. Es wird solange verdreht und auf einer sehr künstlichen Basis argumentiert, dass es irgendwann wirklich egal zu sein scheint, wie sich die Aktivisten verhalten. Als Beispiel ist ein Chat zu nennen, der streng moderiert war, um politischen Extremen keine Chance zu geben. Die Administratoren des Chats wurden aufgrund ihrer Moderation von Rechtsextremen angegriffen. Für die Gegenseite war es jedoch scheinbar eine strenge Moderation, um politische Extreme zu fördern und Menschen aus der Mitte in Extreme zu locken. Nun könnte man damit schlussfolgern, dass alle Seiten für die jeweilige Gegenseite arbeiten, um Menschen zu manipulieren.

Es wird aktiv Rufmord begangen, auch wenn dieser absolut keine Grundlage hat.

Selbst in den renommierten Massenmedien gibt es Artikel, wie man jeden, der in einer solchen Bewegung aktiv ist, ausgrenzen soll, ohne Fragen zu stellen oder genauer hinzusehen.

Auf der einen Seite verständlich, auf der anderen fatal - wird es durch die pauschale Stereotypisierung den meisten egal mit wem sie zusammenarbeiten oder wie ihre eigene Wirkung ist. Es wird von vielen nach dem Motto “Ich kann machen, was ich will, ich bin verbrannt!” gehandelt. Dazu kommt der Faktor, dass man viele Menschen braucht, um etwas zu erreichen. Also stellt sich immer wieder die Frage: Alle zusammen oder lieber gespalten, aber sicher?. Diese Frage beantwortet sich nach persönlichen Grundsätzen und den eigenen Projekten.

Aufgrund von Rufmord, Ausgrenzung und der eigenen Frustration über das alles entstehen Blasen. Viele können und wollen nicht mehr wahrnehmen, was außerhalb ihrer Blase argumentiert wird. Ein Meinungsabgleich findet nicht mehr statt. Die Lager trennen sich immer weiter voneinander ab.

Was ist mein persönliches Fazit?

Ich persönlich habe aus all dem gelernt, wie politische Gruppierungen arbeiten. Ich stehe heute zu meiner mittigen Position fester als vorher und werde diese weiter verteidigen. Deutschland hat meiner Meinung nach zu viele Bürger, die sich selbst keine eigene Meinung und keine eigene Leistung zutrauen. Es fehlt an Bildung - in einem besonders erschreckenden Ausmaß an politischer Bildung. Es fehlt an Menschen, denen der Glauben gelassen wurde, selbst gut genug zu sein - jeder in seinem Bereich. Ich habe gelernt, dass die Anzahl der Worte und das Äußere leider wirklich wichtiger ist, als der Inhalt und die Absichten. Mit- oder selbstgedacht wird leider viel zu selten. Es wird lieber nachgelaufen.

Positiv mitgenommen habe ich, dass es auf viele Unterschiede in Wirklichkeit nicht ankommt. Ich habe einige Menschen kennengelernt, die mir inzwischen sehr wichtig sind, die in keiner Weise politisch extrem sind und etwas Gutes erreichen möchten. Ich habe gelernt, dass man manchmal Wege geht, die man sich selbst nicht zugetraut hätte. Das wichtigste für die heutige Zeit ist jedoch, dass wir wieder lernen sollten, zuzuhören und auf unser Gegenüber einzugehen.

Was wir daraus lernen sollten?

Es bringt nichts, sich immer über politische Extreme aufzuregen. Das Bildungssystem hat massive Lücken und das hatte es längst vor Pisa und dem Lehrermangel! Probleme hatten die Menschen auch schon vor Corona. Es darf nicht nur ein paar Monate nach dem Ende der Corona-Maßnahmen und an Weihnachten darüber geredet werden, dass es da viele Menschen gibt, die in einem großen reichen Land von großen Problemen geplagt sind. Sozialpolitik muss wieder sozial werden und nicht für die relativ sorgenfreie obere Mittelschicht gedacht sein. Gegenseitiger Ausschluss, ohne auch nur einmal zuzuhören und zu hinterfragen, führt dazu, dass keine Kompromisse gefunden werden können und niemand einsehen kann, falsch zu denken! Als Gegenseite muss man hinschauen und darf nicht Rufmord an allen begehen. Die gemäßigten oder bis zum Punkt X zur eigenen Seite gehörigen wären der beste Ansatzpunkt, um wieder das Gespräch aufzunehmen!



Maren Zaidan
Bundesvorsitzende
DIE FĂ–DERALEN