Mach ein ganz einfaches und kostengünstiges Experiment. Es dauert jedoch ein paar Tage, aber wirklich nur Tage.
Versuchsaufbau: Lege ein ganz neues und von allem alten abgeschottetes Profil in einem sozialen Netzwerk an. Wenn dieser Schritt getan ist, fange an, Meinungen zu verschiedenen Themen zu posten, liken, reposten. Fange an, dir neue, bisher unbekannte Freunde online zu suchen.
Hypothese: Es geht schneller als du erwarten würdest. Du wirst in einer Blase landen. Es wird paradiesisch. Dank der heutigen Algorithmen wirst du sehr schnell fast nur noch Posts und Menschen finden, die genau zu deiner Meinung passen. Das Schlimmste was dir noch passiert sind ein paar Kommentare von alten Bekannten der Anderen, die diese Meinungen nicht vertreten.
In den sozialen Netzwerken, Freundessuchdiensten und Partnerportalen wird die richtige Formel für ein natürliches, persönliches, soziales Netz vergessen. So verlockend es im ersten Moment scheint, eine vollkommene Gleichheit ist nie gut. Das richtige Maß an Unterschieden und Gemeinsamkeiten macht glücklich. Selbst beim Online-Einkauf kann man feststellen, dass man oft durch ein, zwei gekaufte Produkte gleich in eine gewisse Zielgruppe rutscht. Besonders amüsant ist das jedes Mal, wenn die gekauften Produkte Geschenke waren oder für jemand anderen mitbestellt wurden.
Nun kann man immer alles auf das Internet und die dort dominierenden Konzerne
schieben. Was ist in der Offline-Welt
? Wir haben uns selbst zum Teil die
Meinungsfreiheit genommen. Menschen verurteilen sich gegenseitig für ihre
Meinungen. Die Vorstellung von langen, tiefgründigen Diskussionen scheint im
Halbschlaf zu sein. Man diskutiert, aber besser nur mit seinesgleichen.
Diskussionen mit Menschen, die eine andere Meinung haben, vermeidet man. Und so
sammelt man wieder Menschen um sich herum, die dasselbe vertreten. Es gibt von
vielen den Konsens, es wäre gefährlich für den eigenen Ruf, mit anderen zu
reden. Dieser Konsens ist inzwischen so tief verwurzelt, dass das Feststellen
andersartiger Meinungen auch gern zum Abbruch alter Beziehungen führt.
Wenn es zu Diskussionen kommt, werden diese laut und haben eine gewisse Arroganz beider Seiten. Viele tauschen leider keine Argumente mehr aus noch hören sie der anderen Seite zu, sondern sind am Beginn der Diskussion der festen Überzeugung, sich am Ende keinen Millimeter von ihrem Standpunkt wegbewegt zu haben. Da man die Überzeugung hat, die einzig gültige Meinung zu vertreten und gebildeter zu sein als alle anderen, muss man dies natürlich auch zeigen und die Gegenseite die ganze Zeit belächeln oder anschreien.
Im Fall der Fälle, wo man sich aus seiner Blase traut, kommt oft das große Erwachen über die Verteilung der eigenen Meinung in der Gesellschaft. Zwei Vertreter unterschiedlicher Gruppen sitzen sich gegenüber und beide meinen, alle seien ihrer Meinung und sie kennen niemanden, der eine andere Meinung vertritt. Interessant wird es, wenn sich die beiden Vertreter ansonsten sympathisch sind und keine Lust haben, aufgrund der Meinungsverschiedenheit auseinanderzugehen. Zwei Welten treffen aufeinander und eine Diskussion wie aus dem Märchenbuch beginnt. Leidenschaftlich aber friedlich und respektvoll. Leider passiert das viel zu selten.
Ein wunderschönes Phänomen ist auch die Wahrnehmung der Berichterstattung. Man
suche sich ein Thema und versuche Meinungen über die Berichte von allen Seiten
zu hören. Jede Seite sieht, dass die Berichterstattung einseitig zu Gunsten der
Anderen ist. Wir reden vom sogenannten Hostile Media Effekt
. Ich streite
nicht ab, dass Berichterstattung manchmal wirklich einseitig ist und viele
Medienunternehmen auch für gewisse Richtungen stehen und diese vertreten, aber
wenn man sich aus dem eigenen Kreis rausbewegt, merkt man wirklich immer
wieder, dass alle sich benachteiligt fühlen.
Was können wir tun, um die Blase zum Platzen zu bringen? Vielleicht sollten wir mit Absicht auch nach anderen Meinungen und Meinungsträgern suchen. Vielleicht sollten wir alles tun, um uns nicht von Menschen mit anderer Meinung, die wir bereits kennen oder an neutralen Orten kennenlernen, abzuschotten und ruhige Diskussionen zu wagen. Vielleicht sollten wir Menschen in unser Umfeld holen, die nicht so verschieden sind, dass wir sie irgendwann als verrückt abstempeln, aber verschieden genug, um über andere Meinungen hinwegsehen zu können. Nur wer offen für alle Informationen bleibt, kann abwägen und am Ende den richtigen Weg gehen. Wir alle können uns irren, auch darüber sollten wir uns bewusst sein.
Maren Zaidan
Bundesvorsitzende der Partei DIE FÖDERALEN
Essen, den 06.08.2020