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Der Bystander-Effekt in der Politik

Oder die Frage warum immer wieder so viele Menschen erschrocken zuschauen aber nichts tun

Maren Zaidan, 15. Juli 2020 21:47 Uhr

Zuschauen aber nichts tun

Eine Frau wird überfallen und schwer verletzt. Sie schreit. Mitten auf der Straße. Viele sehen es, niemand tut etwas. Ein anderer Fall: Eine Frau wird überfallen und schwer verletzt. Sie schreit. Nachts und eher abgelegen. Wenige sehen es, sie bekommt Hilfe und wird vor Schlimmerem geschützt. Man sagt, dass Opfer eine bessere Chance auf Hilfe bekommen, wenn es nicht viele Zeugen gibt. Dieses Phänomen liegt daran, dass Menschen von dem Gesehenen verunsichert sind. Sind mehrere Personen anwesend, bestärken diese sich in ihrer Unsicherheit und im Nichtstun.

In der Politik werden täglich Beschlüsse gefasst. Manchmal findet man sie gut, manchmal nicht. Manchmal wühlen sie viele Bürger auf. Immer schaut eine ganze Bevölkerung und Teile von anderen Völkern zu. Oft wird auch bei schlechten Entscheidungen nicht eingegriffen. Als Antwort auf die Frage, warum niemand etwas tut, erhält man oft die Antwort, dass einzelne Personen sich nicht zutrauen zu entscheiden, ob diese Beschlüsse wirklich schlecht sind und da niemand anderes etwas unternimmt, unternimmt man selbst auch nichts.

Erinnert unser politisches Verhalten nicht an den Bystander-Effekt? Ist es möglich, dass wir manchmal einfach nur schockiert sind, uns umschauen, durch die Verwunderung der Anderen keine Handlungen sehen und selbst auch nicht handeln? Würden wir anders handeln, wenn wir allein wären und niemand außer uns die Nachrichten empfängt? Würden wir uns dann verantwortlicher fühlen und mehr auf unsere innere Stimme hören, die sagt: Das ist falsch!?

Menschen, die Opfer werden oder trotz allem den Mut fassen einzugreifen wird empfohlen andere Personen direkt anzusprechen und ihnen konkrete Handlungsanweisungen zu geben. Sie, ja genau Sie in dem blauen T-Shirt, bitte rufen Sie sofort die Polizei! Vielleicht können wir nicht nur unser falsches Verhalten von der Zeugenrolle auf die Politik übertragen, sondern auch von dieser Empfehlung lernen. Vielleicht wird es Zeit nicht mehr zu sagen, man muss politisch aktiv werden, sondern Menschen direkt dazu aufzufordern etwas zu tun: Sie, genau Sie vor dem Bildschirm, gründen Sie eine Bürgerinitiative, treten Sie einer Partei bei, oder starten Sie eine Petition!. An dieser Stelle merkt man das Problem. Gerade in der Politik ist es gefährlich, wenn einer oder wenige sagen, was andere zu tun haben und wann sie zu handeln haben. Leider würde sich dieses Vorgehen für viele einfacher anfühlen. Man müsste nicht so viel selbst denken und wenn etwas falsch war, kann man die Schuld auch abschieben.

Lieber Leser, ich muss Sie enttäuschen. Ich werde Ihnen nicht sagen, was Sie tun sollen. Bitte treffen Sie eigene Entscheidungen. Bitte entscheiden Sie selbst was zu tun ist. Ich weiß auch nicht was Ihre Sorgen und Nöte sind. Das Einzige wozu ich Sie auffordere ist: Fangen Sie an selbst zu denken. Fangen Sie an selbst zu beurteilen. Fangen Sie an politisch zu denken. Fangen Sie an zu handeln. Fangen Sie an, auf ihr Herz und Ihr Gehirn zu hören, wenn diese Ihnen sagen, dass etwas nicht richtig ist. Sie möchten weder am Leid einzelner Opfer noch am Leid eines ganzen Landes, der EU oder eventuell der ganzen Welt, eine Teilschuld haben. Es ist immer schwer mit Schuld zu leben.


Maren Zaidan
Bundesvorsitzende der Partei DIE FĂ–DERALEN
Essen, den 15.07.2020