Themen > Kultur

Der Tod der Fantasie

In den letzten Monaten hat sich vieles verändert, auch das, was unsere Fantasie anregt

Maren Zaidan, 30. Juli 2020 07:48 Uhr

Kultur nur noch in unserer Fantasie?

Kann man Fantasie töten? Ich glaube es nicht. Ich glaube aber sehr wohl, dass uns die Fantasien der anderen anregen und unsere eigene aufblühen lassen. Ich glaube daran, dass – so umstritten Unterhaltungsmedien sind – sie uns helfen können, von unserem Alltag abzuschalten oder manchmal sogar Anregungen für unser eigenes Leben geben.

Somit habe ich, etwas traurig, von der weiteren Verschiebung vieler angekündigter Filme gelesen. Wer hätte gedacht, dass Mickey Mouse & Co. irgendwann mal eine Art Pause einlegen? Wir können uns freuen, es ist Zeit, die alten Klassiker und Lieblingsfilme wieder rauszusuchen, gemeinsam etwas zu spielen oder ein Buch zu lesen. Ich habe nichts gegen den Gedanken. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, seine Freizeit zu verbringen oder seine Fantasie anzuregen. Die Situation betrifft jedoch nicht nur Kinos. Es geht auch um viele andere kulturelle Einrichtungen, die nicht mehr so wie gewohnt arbeiten können. Die Auflagen machen es schwer.

Bisher sprachen wir immer von Kulturförderung. Und ja, auch der Blockbuster aus den USA ist ein Film und gehört damit zum Kulturgut dieser Welt. Kinder wurden auch zu Veranstaltungen geschleppt, die ihnen langweilig oder schwer verständlich erschienen. Es hat dazugehört, im Kino, der Oper, im Theater, im Konzertsaal und vielen anderen Kulturstätten gewesen zu sein. Wie so vieles wurde auch das in den letzten Monaten scheinbar zum Teil vergessen. Es gab Bemühungen, Theateraufführungen online zu gestalten, aber es stellt sich die Frage, ob es wirklich noch dasselbe ist. Macht es dann einen Unterschied, ob man sich eine Onlineübertragung aus dem Heimattheater oder von einem ganz anderen Theater anschaut? Kann das Heimkino wirklich exakt dasselbe Feeling bieten, wie der Kinobesuch? Geht es nicht auch um all die Reize, die wir schwer in Worte fassen können? Der Geruch, der in unsere Nase steigt, wenn wir an Kinobesuche denken? Die schicke Kleidung bei Opernbesuchen und auf dem Rock-Konzert den Arm des Nachbarn, der einem ständig versehentlich auf den Kopf knallt?

Manchmal ist die Vorstellung von etwas fast schöner als die Realität. Trotzdem ist es sehr traurig zuzusehen, wie selbst die schönen Dinge im Leben verschwinden. Kultur drückt Fantasien aus und fördert sie. Fantasien lassen uns oft unsere Grenzen im Denken überschreiten. Eine absurde Filmszene kann das ein oder andere Mal – und oft abgeschwächt oder abgewandelt – Ideen für Probleme geben. Filme regen zu Diskussionen über unsere Welt an. Sie regen zur Hypothesenbildung und Zukunftsfantasien an. Ich weiß, dass durch Filme und Kultur auch ein Meinungswandel gesteuert werden kann. So werden bestimmte Formate zum Beispiel dazu genutzt, die Familienplanung in der Bevölkerung zu beeinflussen. Aber wenn wir einfach mal das Positive sehen, ist es wirklich schade, was gerade alles verloren geht.

Seit Ewigkeiten haben Kulturbetriebe Probleme, am Leben zu bleiben. Speziell die kleinen, abgelegenen und die ohne große Kettenangehörigkeit kämpfen um ihr weiteres Bestehen jedes Jahr. Besonders die, die bereits seit Jahren um ihre Existenz fürchten, sind oft förderungswürdig – manchmal, weil sie an Orten sind, an denen alles andere bereits weg ist und manchmal, weil sie etwas ganz Besonderes sind.


Maren Zaidan
Bundesvorsitzende der Partei DIE FÖDERALEN
Essen, den 30.07.2020