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Selbst denken

Ein Dialog über den Wandel von propagierten Verhaltensweisen

Stefan Brackman und Maren Zaidan, 5. Februar 2023 12:00 Uhr

Warum denken so wenige wirklich selbst bei der Meinungsbildung?

Diesen Artikel schreiben wir, wie so oft zusammen. Diesmal aber aus einem besonderen Anlass. Wir kennen uns nun seit dem Frühjahr 2020. Eine Sache lief unabgesprochen parallel:

Mich regten all die Menschen auf, die einfach nur das nachplappern, was andere mit höherem Status vorgegeben haben - egal zu welchem Lager sie zählten. Oftmals merkte ich, dass es da keine Meinung gab und man auch fast niemanden - ohne Influencer zu sein - überzeugen konnte. Es wurden so viele, mir offensichtliche Fehler gemacht, aber niemand wollte mir zuhören oder mich ernst nehmen. Ich versuchte es zumindest mit der Aufforderung selbst zu denken. Und parallel gab es jemanden mit einem ähnlichen Leitspruch. Das war Stefan.

Lieber Stefan, willkommen an der Schreibfeder. Was bewegte dich zu deiner Aufforderung an alle um dich herum “selbst zu denken”?

Zu Beginn sprach mich diese Aufforderung noch an, war sie doch bei mir schon lange im Hinterkopf etabliert und Teil meiner eigenen Persönlichkeit. Ich war die größte Zeit meines Lebens allein mit meiner Meinung und ohne jetzt einen Absolutheitsanspruch zu haben, lag ich oft näher an der Wirklichkeit als die große Masse. Daher kam mir der Spruch sehr geläufig vor und ich konnte mich damit identifizieren.

Doch dann kamen mir irgendwann Zweifel. An wen war diese Aufforderung adressiert? Wer benutzt sie ständig? Hat derjenige selbst schon einmal über diese Aussage nachgedacht? Wenn ständig nur wiederholt wird, was andere, evtl. bekannte Protagonisten sagen, dann wird nur wiederholt, aber eben nicht nachgedacht.

Liebe Maren, wie denkst Du über das Denken nach? Und was ist deiner Meinung nach notwendig / sinnvoll, um solche Begriffe nicht nur zu propagieren, sondern auch danach zu handeln / zu leben?

Ich glaube wir leben in einer Zeit in der viele nach außen eine Maske tragen. Man gibt vor sehr viel von sich selbst zu halten, aber im Inneren sind viele nicht besonders von dem eigenen Wissen und Können überzeugt. Als Ergebnis dessen hatte ich in den letzten Jahren das Gefühl, trauen sich viele gar nicht eigene Meinungen zu bilden oder eigene Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Man geht oft nur noch den Katalog mit den Meinungen anderer durch und vertritt dann eine davon. Da man anderen mehr vertraut als sich selbst, nimmt man die Meinung an, welche die meisten anderen im eigenen Kreis befürworten. Ich selbst versuche mich von Meinungen der anderen frei zu machen oder sogar vor dem Hören dieser eine Pause zu machen und zuerst eigene Schlüsse zu ziehen. Das heißt nicht, dass ich manchmal beim Hören anderer Meinungen merke, dass ich etwas nicht beachtet oder gewusst habe.

Stefan, aber du meinst, du begegnest dem Phänomen schon lange. Wie bist du zu den oftmals anderen Meinungen gekommen? Wie gehst du damit um, ständig gegen den Strom zu schwimmen?

Das war ein langer und schwieriger Prozess. Ich habe sehr früh viel gelesen und habe auch außerhalb von Unterricht und Lehre den Älteren aufmerksam zugehört und lange nichts gesagt. Jedoch konnte ich mir dadurch ein “eigenes” Weltbild zurechtlegen. Dieses habe ich immer wieder abgeglichen mit den Medien, die mir zur Verfügung standen. Sehr früh schon habe ich zwei überregionale Zeitungen abonniert und im Beruf dann Zugriff auf einen Großteil der Wirtschaftspresse - auch international - gehabt.

Daher war ich bei Gleichaltrigen nie ein angenehmer Gesprächspartner, wirkte oft oberlehrerhaft und galt als arrogant. Außer, ich durfte ihnen bei Prüfungen in irgendeiner Form zur Seite stehen. Erst später ergab das alles einen Sinn, als ich relativ früh einen verantwortungsvollen Posten übernehmen durfte. Gespräche mit - teilweise wesentlich älteren - gebildeten Kunden fielen mir leichter als anderen, wenn es um die fachliche Seite ging. Smalltalk und belanglose Dinge sind aber immer noch nicht meine Stärke.

Durch diese Gespräche bekam ich immer wieder neue Denkanreize, waren meine Kunden doch in vielen Bereichen des wirtschaftlichen Lebens zu Hause. Immer wieder konnte ich meine Gedanken zu unterschiedlichen Themen mit der Realität abgleichen und musste natürlich auch das eine oder andere Mal meine Meinung ändern.

Und genau das ist das Wichtige daran, die eigene Überzeugung kann einen auch einmal in die Irre führen. Sie jedesmal der Realität auszusetzen und damit abzugleichen ist ein elementarer Bestandteil unseres Lebens.

Nachdem wir nun beide darüber nachgedacht haben, warum wir uns dazu aufgefordert haben, selbst zu denken und wie es dazu kam, dass der eigene Standardspruch mit der Zeit nervte, möchten wir unser Fazit ziehen.

Selbst denken muss richtig verstanden werden. An der Stelle, an der ich auch diese Aufforderung nur wiedergebe, um die Meinung eines anderen zu fördern, geht der Ernst der Sache verloren. Ein ständiger Diskurs, auch in den eigenen Reihen, fördert das gesellschaftliche Miteinander. Dieser sollte geführt werden, statt immer nur andere mit Aufforderungen zu belästigen. Für diese Diskussionen ist es wichtig, den eigenen engsten Kreis zu verlassen und den Horizont zu erweitern, aber gleichzeitig mit Menschen mit ähnlichem Hintergrund zu diskutieren. Wir alle haben unterschiedliche Probleme in unserem Leben. Wenn wir aufhören, die eigenen Interessen zu vertreten, werden viele Teile der Bevölkerung vernachlässigt.

Wer sich ständig über die eigene Kompetenz unsicher ist, dem helfen manchmal vielleicht schon kurze Recherchen auf dem Handy, um Begriffe einzuordnen oder verschiedene Aspekte in der eigenen Meinungsbildung zu berücksichtigen.

Am Ende ist es wichtig, dass man auf sich selbst vertraut. Auch Vorbilder und Menschen mit höherem Status dürfen hinterfragt werden. Hinterfragen ist nicht gleichzusetzen mit missachten. Jeder kann sich irren. Manchmal wird man eingestehen müssen, dass man selbst irrt, manchmal wird man feststellen, dass die anderen falsch lagen.


Stefan Brackmann und Maren Zaidan
die Bundesvorsitzenden
DIE FÖDERALEN