Ich habe in den letzten Jahren immer wieder ins Ausland oder in kleine Grüppchen der Gesellschaft geschaut und geglaubt, dass deren Forderungen nie eine mehrheitliche Unterstützung in der Bevölkerung finden werden. Gleichzeitig war ich dann immer wieder schockiert, wenn die betrachteten Themen kurze Zeit später eine breite Öffentlichkeit hatten. Auf der anderen Seite finde ich immer wieder Belege dafür, dass Themen einfach auch in den Medien oder in gewissen Blasen überrepräsentiert werden. Die Zustimmung also gar nicht so groß ist.
In diesen letzten Jahren geht es immer wieder um Gleichberechtigung oder darum gewisse Vorurteile und Diskriminierungen abzubauen. Viele Stereotypen werden uns einfach eingepflanzt und sind wirklich unterbewusst. Doch dann bringt reden nicht viel, dann mĂĽssten andere MaĂźnahmen ergriffen werden, um einen besseren Umgang miteinander zu schaffen. Wer ein Problem miteinander hat, sollte etwas zusammen erreichen. Stattdessen spalten die aktuellen Diskurse oft mehr als dass sie zusammenbringen.
Vor einiger Zeit kam mir nun eine Erinnerung an einen
Anti-Diskriminierungsdiskurs
auf, der eine ganz andere Geschichte hat. Mit
diesem Diskurs möchte ich ein Gedankenexperiment wagen, denn er ist nicht mehr
aktuell.
Vor nicht allzulanger Zeit war es Gang und Gäbe Linkshänder umzuerziehen. Die wissenschaftlichen Ergebnisse zu den Schäden dieser Umerziehung gehen weit auseinander, aber über den Sinn der Qual alles andersherum machen zu müssen, streiten sich die wenigsten. Diese Zeiten sind vorbei. Das schlimmste, was mir als Linkshänderin widerfuhr, war eine schlecht gelaunte Grundschullehrerin beim Stift führen und die Erkenntnis, dass ich in manchen Haushalten nicht beim Kartoffelschälen helfen muss, da es keinen für Linkshänder geeigneten Kartoffelschäler gibt.
Da Händigkeit ein wahnsinnig faszinierendes und zugleich langweiliges Thema ist, bekam ich irgendwann ein Buch darüber geschenkt. Ich fand eine britische Bewegung, die für die Rechte von Linkshändern kämpfte. Ich fand heraus, dass ich sehr viel Geld in spiegelverkehrt gebaute Utensilien stecken kann und wie ich mein rechtshändiges Umfeld in den Wahnsinn treiben kann. Aus Not um ein Thema hielt ich dann sogar einen Übungsvortrag über Händigkeit. Das Ergebnis: Der Spieldrang aller Zuhörer wurde ausgelöst, aber die Witze über die Linkshänderbewegung sind 2 Jahre lang nicht abgebrochen.
Warum? Linkshänder werden heute nicht mehr gequält. Es gibt so viele positive Vorurteile über Linkshänder, dass man bei manchen neuen Kontakten für dieses willkürliche Merkmal Sympathien erhält.
Die genannte Bewegung hingegen, sieht jedoch, dass immer noch alles auf
Rechtshänder ausgerichtet ist. Sie sehen, dass man immer noch die feine rechte
Hand gibt
und das Herz am rechten Platz hat
, obwohl es doch mittig ist und
wenn dann ĂĽberhaupt eher links als rechts ist! Es gibt relativ wenige
Linkshänder und ein paar davon sind tatsächlich stur erzogen. Doch was bringt
es, wenn ich 90% meiner Mitbürger mit einer linkshändigen Begrüßung verwirre
oder auf das umdichten von Redewendungen bestehe? Wir sind jedoch genug, um
auch daraus einen Aufstand zu errichten. Wie viel bringt das? Wann sollte ich
mich soweit anpassen, dass ich anderen nicht in die Quere kommen, wenn sie mein
Dasein respektieren?
Ich möchte mit diesem Gedankenexperiment zeigen, dass es viele Themen gibt, bei denen man von Diskriminierung sprechen kann. Wenn man es jedoch übertreibt und zu sehr an sich selbst denkt, schafft man nicht mehr Toleranz, sondern mehr Spaltung.
Und gleichzeitig möchte ich darauf aufmerksam machen, wie sehr wir uns um Toleranz und Gleichberechtigung abmühen, aber gleichzeitig gerade ganz offen und stolz einen Teil der Bevölkerung diskriminieren. Wäre es nicht schön, wenn wir wieder mit der ganzen Familie und den alten Freunden Essen oder ins Kino gehen könnten? Habt ihr eure Bekannten früher nach ihrem Impfstatus gefragt? Für was leben wir?
Toleranz, Gleichberechtigung und Offenheit gelten also nicht fĂĽr alle. Wie schon mehrmals stimme ich fĂĽr den goldenen Mittelweg. Wir lernen gerade, dass Toleranz zu Spaltung fĂĽhren kann und trotzdem wichtig ist.
Maren Zaidan
Bundesvorsitzende
DIE FĂ–DERALEN