Manchmal habe ich das Gefühl, einfach meine Gedanken und Eindrücke für mich zu behalten zu wollen, weil es sowieso nichts ändert. Doch was soll sich ändern, wenn niemand es probiert? Also rede und schreibe ich wieder viel zu viel, über das, was niemand hören möchte.
Im letzten Jahr bekomme ich so viel von Zusammenhalt, sozialen Kontakten,
Meinungsfreiheit, Selbstdenken
und Demokratie erzählt. Oft auch mit dem
Unterton, dass all das meinem Gegenüber viel wichtiger wäre als mir und ich gar
nicht mitreden sollte. Es ist zum Wettbewerb geworden, wem diese Werte am
wichtigsten sind.
Gelebt wird leider sehr oft etwas ganz anderes. Meinungen werden in einer
Gruppe von Menschen, die sich als sehr offen promoten, nur unter dem Tisch und
nur im kleinen vertrauten Kreis behandelt - dann aber sehr emotional, weil es
einfach zu viel geworden ist. Meinungen sollte man nicht mehr offen sagen, denn
dann droht oft die Verbannung. Das Konzept der Meinungsführer ist stärker als
lange Zeit zuvor und sehr verdreht. Wer sich nicht den MeinungsfĂĽhrern in jedem
Punkt öffentlich anpasst, wird schief angeschaut oder geächtet. Eine offene
Diskussion ist nicht möglich. Vergeben und Vergessen
gibt es nicht. Egal wer
Recht hatte.
Verzeihen ist aus der Mode gekommen.
Man kämpft gegen Social Distancing und soziale Spaltung. Nur bitte frage nicht nach einer praktischen Umsetzung dieser Konzepte. Kontakte hat man nur für eine kurze Zeit und Freunde sollte man regelmäßig hintergehen. Wer heute Dein Freund ist, könnte morgen Dein Feind sein, also sei schneller. Belächele jeden, der an ein Morgen glaubt. Man redet von Zusammenhalt und lehnt alles ab, was das grundsätzliche Gerüst davon ist.
Ich höre selten Meinungen und Ideen von den Menschen selbst. Meist bekommt man zitiert, was ein anderer bereits gesagt hat. Die selbst denkenden Köpfe scheinen leer zu sein und nur Fakten zu lernen. Es ist egal, ob diese Fakten falsch oder richtig sind. Es geht darum, jemanden zu fördern, der vielleicht alles besser macht - wenn uns dies ins Verderben führt, war es scheinbar den Versuch wert. Es gibt viele Menschen, die denken können, wie sie wollen. Sie werden nicht gehört. Für viele Menschen gehört es sich nicht, zu denken. Ihre Gedanken werden als lächerlich abgetan. Wer einen anderen ablehnt, weil der andere selbst denkt, gehört nicht in eine kritische Bewegung.
FrĂĽhere Bewegungen bestanden meist aus Studenten und jungen Leuten. In einer
Gesellschaft, wie dieser, hat sich selbst der Widerstand umdefiniert. Wer unter
40 ist, wird nicht ernst genommen. Wie oft wurde meine Meinung einfach mit dem
Argument Du bist zu jung!
weggewischt. NatĂĽrlich braucht es Erfahrung - es
braucht aber auch neue und frische Ideen. Menschen, die noch einiges vor sich
haben und gerade darum kämpfen in einer Welt von Social Distancing und
Denunziantentum Freunde und einen Partner zu finden, Kinder zu bekommen und
eine Zukunft zu haben. Seit wann muss man ĂĽber 40 sein, um Fehler im System zu
sehen und etwas anders machen zu wollen?
Gesellschaftskritik, Kritik am Schulsystem und an Beziehungen zu üben, ist vollkommen sinnlos, wenn man selbst nicht an diese Werte glaubt. Die Menschen, die in der Schule nur gut auswendig lernen konnten, sind nicht unbedingt große Denker geworden. Rede- und Denkverbot für jeden der weniger als 1000 Follower hat, wird uns niemals retten. Die großen Internetkonzerne werden kritisiert, aber ohne deren Entwicklungen wüssten so viele Menschen nicht mehr, wem sie hinterherrennen sollen. Wo ist der Glauben der Menschen an sich selbst geblieben? Wann fangt ihr wieder an, zu denken? Kritik zu üben oder seine Meinung zu sagen, bedeutet nicht den anderen zu bekämpfen, zu spalten oder dem anderen seine Meinungen im Allgemeinen abzulehnen. Wer nicht in der Lage ist, in den Diskurs zu treten, wird nichts zum Positiven ändern.
Fangt an zu denken und andere denken zu lassen! Das wäre dann Freiheit! Oder ist euch Freiheit doch zu unangenehm?
Maren Zaidan
Bundesvorsitzende
DIE FĂ–DERALEN